Ich spürte die Kälte auf meinem Gesicht. Meine roten Locken waren vom Wind zerzaust. Heute morgen hatte die Sonne geschienen, doch jetzt war es bewölkt.
Gestern wollte wieder ein Junge, nur wegen meinem Aussehen, mit mir zusammen sein. Ich bin nun einmal hübsch. Das kann ich nicht leugnen, doch dass gestern war zu viel. Ich wurde regelrecht ausgenutzt. Alle Jungen wollten nur aus einem Grund mit mir zusammen sein, um bei den anderen anzugeben. Keiner hatte sich gefragt, wie es mir dabei ging. Ich spürte wie eine einzelne, warme Träne über mein ansonsten kaltes Gesicht lief.
Goldstück. So hatte meine Mutter mich früher genannt. Doch würde diese Beschreibung jetzt noch zutreffen? Ich wusste es nicht, doch diese Frage quälte mich schon lange. Bald würde alles zu Ende sein. Das war mir klar. Ich dachte an meinen Vater. So gerne hätte ich ihn näher gekannt. Er war fortgegangen, nach Amerika. Künstler wollte er werden. Seine Familie war ihm egal, er war einfach weg.
Es fing an zu regnen, doch auch das war mir egal. Die Zeit war für mich stehen geblieben. Ich stand einfach nur da und dachte an meine Freunde. Konnte man so etwas Freundschaft nennen? Auch meine beste Freundin war nicht besser als die anderen. Sie hatte mich nur ausgenutzt, wie alle. Ich müsste einfach loslassen, dann wäre alles vorbei. Doch das konnte ich nicht. Noch nicht.
Was würde meine Mutter nur tun? Ich vermochte nicht daran zu denken, denn es zerriss mir das Herz. Meine eigene Mutter hatte mich im Stich gelassen. Sie war nur mit ihrem Buch beschäftigt. Sie wollte eine berühmte Autorin werden. Schließlich war sie auch nicht besser als mein Vater. Der Regen hatte meine Kleidung durch-nässt. Ich fror fürchterlich. Der Wind hatte an Stärke zugenommen. Eine weitere Träne lief über meine Wange. Ich fing an zu weinen. Der Schmerz musste raus, sonst würde ich explodieren. So viele Erinnerungen schossen mir durch den Kopf.
Nun stand ich hier, auf der höchsten Brücke in der Umgebung. Unter mir brausten die Autos über die durchnässte Autobahn. Das Geräusch des aufspritzenden Wassers war bis hier hin vernehmbar. Auch das Durchdrehen der Reifen konnte ich hören. Mein Entschluss stand fest. Ich würde es tun. Ich dachte noch einmal kurz nach, dann war es schon zu spät. Ich hatte das Geländer losgelassen. Das Letzte was ich hörte waren entfernte Schreie.