UT: Das Glück zeigt sich jedem anders.
Der Wind peitschte den Regen unentwegt auf meinen Körper. Ich fror und war völlig durchnässt. Die Regentropfen schlugen wie Hagelkörner nieder. Vielleicht waren auch welche dabei, ich konnte es nicht sagen. Denn das Wetter war mir egal, es hinderte mich nicht an dem, was ich vorhatte. Aber der Grund, warum ich hier war, war nicht das Vorhaben mir eine Lungenentzündung zu holen, sondern ein ganz anderer.
Mein Herz schlug wild in meiner Brust, ich fragte mich, ob ich es noch bremsen konnte, bevor es meinen Brustkorb zerbersten ließ. Ich ging einen weiteren Schritt geradeaus. Meine nackten Füße waren schon blau vor Kälte, doch sie protestierten nicht; sie trugen mich anmutig weiter.
Der Grund weshalb ich zu meinem Glück ging, war, dass es keinen Sinn mehr gab; keinen erdenklichen für mich. Ich floh vor meinen Gefühlen, weil ich die Angst nicht mehr ertragen konnte, etwas Falsches zu tun. Das Unglück weiter zu ertragen, hatte ich längst aufgegeben. Aber erst jetzt, war mir aufgefallen, dass mir das Glück die ganze Zeit über eine Alternative geboten hatte.
Als kleines Kind war ich ein prachtvolles Schiff gewesen, welches nun sank und als Wrack auf dem Meeresgrund enden würde. Ich war gerade in der Phase zu sinken. Der Grund dafür war, dass ich den Schmerz der Welt, insbesondere meinen eigenen nicht mehr ertrug. Ich begegnete dem Tod schon früh, es nahm mich aber erst richtig mit, als meine eigene Mutter starb. Sie gab mir damals die Luft zum atmen, zeigte mir den Weg, welchen ich gehen müsse, war für mich mein Leben ... als sie ohne Worte ging, brach eine Finsternis herein, welche die Sonne verschlang und ihr nicht mehr gebot, wieder zu erscheinen. Sie hatte die Blühte meines Daseins verpasst, würde mir nie wieder helfen zu atmen, würde nie wieder mir meinen Weg weisen ... und auch nie wieder mein Leben sein. Mein Leben war eine Finsternis, das Licht war erloschen, welches sie immer verkörpert hatte. Ich war alleine. Ich hatte meine Mutter über alles geliebt, doch ich wusste nicht, warum sie gegangen war. Selbst heute konnte ich ihr nicht verzeihen, dass sie mich verlassen hatte. Ich hasste sie dafür –und so wurde ich mir selbst zuwider. Ich wollte sie nicht hassen. Doch so würde ich sie nicht vergessen.
Das Schiff hatte nun ein Leck. Als mein Vater es nicht ertrug, dass ich Leid empfand, wenn er nach dem Verlust wieder Glück fühlte, lief alles aus den Rudern. Panik brach aus. Er war alles, was mir geblieben war, doch verletzte er mich, weil er meine Mutter vergas; sie nicht mehr würdigte ... nicht mehr an sie dachte. Er entfernte sich immer weiter von mir. Während ich allein zerbrach, das Leck sich weitete, handelte er aus reinster Nächstenliebe und sah nach mir. Warf mir gleichzeitig vor, ich würde seinem Glück im Weg stehen. Ja, verdammt, das tat ich! So weit ich wusste waren wir eine Familie, die zusammenhalten musste, die sich gegenseitig Glück bringen sollte. Es war mir unvorstellbar wie das Schiff meines Vaters, seine Lecks so schnell schließen konnte. Meine brachen durch und füllten mich mit Wasser; brachten mich durch meine eigenen Tränen zum sinken.
Es gab für mich keine Rettung mehr. Ich behielt die Hoffnung, dass es doch einen Gott gab. Einen Gott, der mir half aus diesem sinkenden Schiff zu flüchten. Vielleicht sah ich seine Zeichen auch vor Blindheit nicht. Mein Kummer machte mich taub und blind. Es war absurd mich noch als einen fühlenden Menschen zu betrachten. Das einzige Gefühl, das mein Körper und mein Verstand zuließen, war Leid und dieses Leid brachte Zerstörung. Ich zerstörte nicht nur mich, sondern auch alle, die mich mochten. Konnte ich mich denn nicht zusammenreißen und für sie glücklich werden, damit ich ihnen keinen Kummer bereitete? Nein ... dafür war ich zu schwach. Ich sah nur noch das alternative Glück.
Ich war an meinem Ziel angekommen. Ich setzte meinen letzten Schritt und fiel. Fallen fühlte sich an wie Fliegen, bis man auf dem Boden aufkam ... ich fiel mit den Regentropfen um die Wette und zersprang wie einer von ihnen am Boden ... in viele tausend Bluttropfen, die den Boden und mich tränkten.