UT: „Ich bin hier, wegen dir“
Ich beginne mit meiner Geschichte, bevor ich sie traf. Sie, die mir zeigte wieder auf den rechten Weg zu kommen und mir einen Sinn zum leben gab. Sie, die in mir etwas weckte, wo ich dachte, es sei schon längst verschwunden. Theodora.
Mein Vater schlug meine Mutter, mich und meine Geschwister. Meine Mutter nahm Tabletten während mein Vater Säufer war. Chandra, meine vier Jahre jüngere Schwester und die Zwillinge Alejandro und Alejandra, die noch in den Windeln lagen, verkümmerten, da Mutter keine Zeit fand. Sie weinten. Alles im Haus weinte, schrie und war kaputt. So fing ich früh an, den falschen Umgang zupflegen, fing mit zehn Jahren an zu rauchen und mit sechzehn nahm ich meine ersten Drogen. Ich hatte sie alle durch.
Mein Vater brachte jeden Abend eine Dirne vom Straßenrand mit, nach dem Mutter an einer Überdosis Tabletten starb. Die Zwillinge und meine Schwester weinten ununterbrochen. Vater hörte sie nicht. Doch wir hörten ihn. Er verdammte uns.
Ich schlich mich abends öfters alleine auf die Straße, nachdem ich meinen Geschwistern eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt hatte. Sie waren noch viel zu jung, um das zu erleben, was ich verbotenerweise tat. Als ich mit rauchen begonnen hatte, nahmen auch meine nächtlichen Wanderungen zu. Der kalte Abendwind kühlte mein Gemüt und nur der Mond, war Zeuge, dessen, wie verdorben ich war.
Ich schloss mich Vagabunden an. Nachdem ich ihren Anführer krankenhausreif geschlagen hatte, wurde sein Platz mir zu teil. Ich bekam Respekt. Aber auch die Anerkennung der anderen machte mich nicht glücklich. Doch was war Glück? Niemand hatte mir oder meinen Geschwistern Glück gezeigt –von Liebe ganz zu schweigen. Wir sind in Angst und Hass aufgewachsen. >Dios, alle Kinder sind Engel mit Flügeln<, so sagt es ein altes Kinderlied. Wenn das stimmte, war ich ein gefallener Engel, aus Gottes Haus verstoßen mit gestutzten Flügeln.
Jede Nacht kam und ging ... und jede Nacht sah ich anderes aus. Mal blutverschmiert, mal in Begleitung. Ich schlug mich mit anderen Gangs, nur um meinen eigenen Schmerz zu vergessen und wenn ich einen Kampf gewonnen hatte nahm ich die Siegesbeute mit nachhause. Ich glaube, ich war meinem Vater ähnlicher, als ich je sein wollte. Jede Nacht eine neue Bettgenossin, jede Nacht eine neue Droge.
Doch eine Nacht wird mir unvergessen bleiben. Sie begann indem wieder eine blutige Streiterei auf der Straße war. Ich war der Anstifter. Ich hatte eine aufgesprungene Lippe, ein Veilchen zierte mein rechtes Auge und Blut rann an meinem Arm hinab, wo ich geschnitten wurde. Ich blickte zum Himmel; es war Vollmond.
»Hallo, ich bin Theodora«
Es war eine himmlische Stimme. Nie werde ich diese zarte Stimme vergessen. Barmherzig und jedes ihrer Worte war mehr einer Liebkosungen nahe, als alle die ich je abgeschleppt hatte mir geben konnten. Ich sah sie an. Sie hatte eine blasse Haut, azurblaue Augen und goldenes Haar. Wohlgeformte Lippen und eine gerade, zierliche Nase. Ein weißes Sommerkleid mit blauen Punkten, betonte ihre feminine Figur. Sie war kaum einen Kopf kleiner als ich.
»Eine verschwendete Nacht, nicht wahr?«
Ich wusste nicht warum, aber ich nickte; stimmte ihr zu, obwohl meine Stimme versagte. Ich kannte sie nicht und auch machte ich ihr keinen Hof (so wie ich es sonst tat). Sie war anderes, als alle anderen. Anders als meine Mutter, anderes als meine Schwestern, anders als meine Begleiterinnen.
Ich ließ mich ohne Gegenwehr von ihr nachhause bringen. Und diese Nacht, war nicht die letzte in der sie mich rettete, noch verdorbener zu werden.
Zuhause hatte sich nichts geändert aber draußen, wo sie meine Luft zum atmen wurde, änderte sich alles schlagartig. Sie hielt mich vom kämpfen ab, sagte mich meinen Leuten los. Für sie hörte ich sogar mit den Drogen und dem Rauchen auf. Ich wollte für sie ein besserer Mensch werden. Zwei Jahre lang half sie mir und ich erkannte, dass ich sie liebte.
»Enrique ... ich hoffe du brauchst mich, denn ich brauche dich!«, hatte sie mir gesagt und brach zusammen. Seitdem sah ich sie nur noch im Krankenhaus, mit Schläuchen in der Intensivstation.
»Warum hast du mir nie gesagt, dass du krank bist?«
»Weil ich nicht krank bin«, hatte sie mir geantwortet.
»Was bist du dann? Warum bist du zusammengebrochen? Sag es mir! Ich will dich nicht verlieren ...«
»Wenn man einem Engel begegnet, sollte man sie nie wieder davon fliegen lassen. Doch Enrique, ich bin ein Engel. Gottes Gesandte sterben, wenn sie einem Menschen geholfen haben, ihren Weg zu gehen. Die Gesandten dürfen sich nur ihrer Aufgabe hingeben, nicht ihrem Schützling. Ich bin Gottes Geschenk an dich, damit du wieder lebst! Bitte sag mir nicht, dass du mich liebst ... lass mich fliegen«
»Gott hat dich geschickt?«
»Ja. Er hat die Hoffnung nie aufgegeben. Er hat in dich vertraut«
»Wenn es wirklich einen Gott gibt, warum schickt er dich um mir zu helfen und nimmt dich mir dann trotzdem weg? Ich brauche dich! Du bist meine Luft, ohne dich ersticke ich«
»Es ist nicht das Ende und nun ... lass mich fliegen«
Ich hatte die ganze Zeit ihre Hand gehalten. Ich liebte sie, also erfüllte ich ihr ihren letzen Wunsch. Ich ließ ihre Hand los, flüsterte ihr zu während sie ihren letzten Atemzug tätigte. Ein Ich-liebe-dich wollte sie nicht hören, also sagte ich ihr nur: »Danke, für alles«