Mein schwaches Herz oder mein Erlöser?
Ein kleiner Junge, im zarten Alter von acht Jahren, zog in eine britische Kleinstadt nahe Londons. Er war klein und rothaarig. Sein Gesicht zierten Sommersprossen. Auch war er Einzelkind und wohnte mit seinen Eltern in einem schönen Vorort, im einem großen Haus. Hausangestellten kümmerten sich um den kleinen Jungen, wenn seine Eltern nicht zu Hause waren. Oft spielte er alleine mit seinen Zinnsoldaten. Oft war im langweilig und oft waren die Menschen in seiner Umgebung zu erwachsen für ihn. Er verstand das Gerede der Erwachsenen nicht. Und bald verließen ihn auch die Zofen. Er schlenderte durch Haus und Garten. Bis seine Eltern beschlossen, dass er zur Schule gehen solle um dort zu lernen. Insgeheim fragte sich der kleine Junge; liebten seine Eltern ihn oder nervte sie es, dass er am Leben war? Er wollte ein guter Sohn sein, wollte beachtet von ihnen werde ... oder einfach nur ein liebes Wort. Der Junge machte es ihnen Recht und ging brav zur Schule. Seit seinem Einzug war nun schon eine Woche ver-gangen und zum ersten Mal sah er etwas anderes als den Garten des Hauses, in dem er wohnte.
Stumm lief er Woche für Woche zur Schule. Er freute sich, seine Eltern dadurch ein wenig glücklicher zu machen. Doch ihm war der Gang in die Schule eine Qual. Er war eben der Neue, wurde verspottet und geschlagen. Manchmal fehlten ihm Sachen, die seine Mitschüler ihm entwendet haben.
Seine Mutter fragte nicht woher er sein Veilchen hatte und auch nicht warum seine Uniform beschmutzt war. Sie sagte ihm nichts weiter, als dass er so nicht in die Schule gehen dürfte, es würde ein schlechtes Bild auf ihn und auch auf seine Familie werfen. Er nickte stumm und ging auf sein Zimmer. In seinem Zimmer fand man ein großes Bett und zahlreiche Spielsachen. An diesem Tag schwor er sich, nie wieder wie ein kleines Kind zu spielen. Er wolle lernen ein Er-wachsener zu werden und Erwachsene spielten nicht mit Spiel-zeug. So setzte er sich an seinen Tisch und machte seine Hausaufgaben. Stumm und entschlossen.
Innerhalb eines Jahres hatte er sich zu einem Musterschüler entwickelt. Hatte nur Einsen und wenn er mal eine Zwei hatte, bemühte er sich noch mehr. Doch je fleißiger er wurde umso mehr Neider zog er auf sich. In den Pausen war er meist alleine und spürte die verachteten Blicke der anderen im Nacken.
Nicht weit von seinem Schulweg nach Hause, war eine neue Familie eingezogen. Sie wohnten in einem Hause, das dem seines glich. Er hatte sie einziehen sehen. Trotzdem sollte dieser Tag nun anders verlaufen als üblich. Kurz bevor er an das Tor des Hauses ankam, hörte er ein fröhliches Lachen. Es klang nach einem Mädchen. Er kam nun am Tor an und blickte durch die Eisenstäbe. Ein kleines Mädchen, in seinem Alter, hatte schwarzes langes Haar. Sie hatte ihre Strümpfe ausgezogen und übte auf dem Gras Ballett. Obwohl sie öfters in einer Pirouette schwankte oder bei einem Sprung ins Stolpern kam, fand der Junge, dass sie eine bezaubernde Ballerina war. Ihr seidiges schwarzes Haar glänzte im Sonnenlicht wie ein Rabengefieder. Er ließ von ihr ab und zwang sich nach Hause. Würde er zu spät zum essen kommen würde sein Vater streng werden und das wollte er nicht.
Ab jetzt ging er freudiger zur Schule. Denn immer wenn er am Haus vorbei lief, sah er sie Ballett üben. Sie ver-besserte sich immer mehr. Wenn es jedoch regnete oder schneite war sie drinnen. An einem Regentag konnte der kleine Junge sie am Fenster sehen, wie sie traurig gen Himmel blickte. An jedem Tag sah er sie das erste Mal unglücklich.
Nach drei Jahren starrte er an einem sonnigen Tag wieder in den Garten des Mädchens. Sie hatte angefangen morgens nicht aus dem Haus zu gehen, sondern erst Mittags nach der Schule. Er war nun dreizehn. Der Junge hatte sie auch, seit dem Tag wo sie morgens nicht mehr war, nicht mehr Ballett üben sehen. Wenn sie es widersinniger Weise versuchte, tadelte ein Bediensteter sie. Ihr Butler war stets an ihrer Seite. Verträumt sah er sie im Gras sitzen und zeichnen. Er bekam allerdings so einen Schock, dass er hinten über fiel und perplex zum Tor hinauf sah. Der Butler hatte ihn bemerkt und beschimpfte ihn wüst. Er drohte sogar die Polizei zurufen, wenn er sich nicht bald hinfort machen würde. Durch die Beine des Butlers hindurch sah er ihr Gesicht. Es schien beeindruckt jedoch auch geschockt.
Drei weitere Jahren gingen ins Land. Der Junge sah sie nun kaum noch im Garten. Sie war aus seinem Leben verschwunden. Vielleicht waren sie auch umgezogen. Er wusste es nicht. An einem regnerischen Tag schleppte er sich matt mit einem Regenschirm an ihr Tor vorbei. Tief hing der Regenschirm. Fast hätte er die Hände, die das kalte Eisen des Tores umklammerten, nicht bemerkt. Er hob den Regenschirm ein wenig und sah in das Gesicht des Mädchens. Sie war zu einer wunderhübschen jungen Lady herangewachsen. Ihr schwarzes Haar wallten an ihren Schultern herab und haftete an ihrem Gesicht. Völlig durchnässt stand sie vor ihm. Sie hatte traumhaft kalte graue Augen. Der Junge wagte es nicht etwas zu sagen. Er sah sie nur an. Als sich hinter ihr die Tür öffnete griff sie nach seinen Armen uns zog ihn an sich. Ihre weichen Lippen berührten die seine und leise flüsterte sie ihm ins Ohr: »Du kannst mich ruhig wirklich besuchen kommen«. Sie lächelte ihn liebenswürdig an und ließ sich von ihrem Butler zurück ins Haus bugsieren.
Viele Wochen vergingen bis er sich traute das Tor zu öffnen und an der Tür zu klingeln. Sein Herz pochte im bis zum Hals und drohten ihn zu ersticken. Ihr Butler öffnete die Tür und sah ihn durch blutunterlaufenden Augen an.
»Was wünscht der junge Herr?«, fragte er schroff.
»Ich würde gerne das Mädchen treffen, dass hier wohnt. Leider weiß ich ihren Namen nicht«, stotterte er leicht. Das Butler riss seine Augen weit auf. Er bat ihn hinein und bot ihm Kaffee an. Der Junge setzte sich am Tisch nieder und blickte auf eine Kommode. Auf ihr standen Fotos von dem Mädchen. Der Butler hatte inzwischen ihre Eltern zu ihm gebeten. Sie setzten sich ihm gegenüber.
»Caleb sagte du würdest gerne Miranda treffen. Stimmt das denn?«, fragte der Vater und seine Frau fiel ihm weinend in die Arme. Der Junge nickte. Sie hieß also Miranda.
»Du kommst zu spät ...«
Jahre später stand er vor Marmor. Er hatte sich nun auch getraut ihren Namen in Marmor zu lesen. Das prächtige weiße Marmor mit dem Namen Miranda Cole. Er erinnert sich noch an die Worte ihrer Eltern. »Du kommst zu spät. Du warst doch auch dieser Junge der öfters vor unserem Tor stand, nicht wahr? Das letzte Mal wo sie das Haus verlassen hatte war, als sie dich sehen wollte. Das war im Regen. Paar Tage darauf ist sie verstorben. Mach dir keine Vorwürfe, Junge. Sie litt an Leukämie. Du hättest sie nicht retten können«
Er legte ihr rote Rosen ans Grab und lächelte. Nicht nur wegen seiner Feigheit räsonierte er sich, eher weil er nichts bemerkt hatte und auch nichts unternommen hatten, nach ihrem Kuss.
»Endlich weiß ich deinen Namen ... Miranda. Miranda ist ein sehr schöner Name«, sagte er bitter und kehrte ihr den Rücken. An seinem Hals blinkte ein kleiner Anhänger. An diesem Anhänger ging eine Phiole.
»Das sind meine Tränen ... weil ich dich kenne« Der Junge verstand diese Worte nun. Die Phiole beherbergte ihre Tränen. Sie wusste, dass sie sterben würde und auch das er sich nicht trauen würde sie zu besuchen. Das war ihr letztes Geschenk an ihm.