Im Dunklen waren fad die Umrisse der wenigen Rosetten an der Wand zu erkennen. Man konnte ihre Farben nicht ausmachen, wohl jedoch die blumenartige Form. Auf dem kleinen Tischchen neben dem Bett stand der Bilderrahmen, wie er schon seit Wochen stand. Nur mit Schwierigkeiten konnte man die Silhouette des Pferdes finden, das darauf abgebildet war. Nathalie wälzte sich im Bett herum. Unter der Decke schwitzte sie heftig, obwohl es bald Winter wurde. Im Mondlicht sahen die sonst so vertrauten Möbel fast unheimlich aus, aber Nathalie hatte keine Angst im Dunkeln. Und wenn schon, selbst am helligsten Tag war sie nicht ruhiger als jetzt. Als sie die ersten Tränen auf ihren Wangen spührte, griff sie nach dem Bilderrahmen und presste ihn ans Herz. Sie musste nicht daraufschauen um zu wissen, was darauf war. Sie kannte jeden Winkel des Bildes auswendig. Der Mond schien geheimnissvoll durchs Fenster. In einem winzigen Windhauch bewegte sich die Gardine, aber es war genug um für eine Sekunde das Licht der Straßenlampe ins Zimmer zu lassen. Genug, um für einen Moment das Halfter zu beleuchten, was unbehelligt seit jenem Tag auf dem Fensterbrett gelegen hatte. Kaum hatte Nathalie auch nur die schwarzen Umrisse erblickt, fühlte sie, wie erneut Tränen in ihr hochwellten. Nein, das Halfter und alles mit ihm war Vergangenheit. Sie gehörten nicht mehr in ihre Welt. Nie mehr.
Und, gefällt's euch? Ich werde die Fortsetzung sobald ich dazu Zeit und Lust habe schreiben, denn so ist sie natürlich noch nicht fertig... Ach ja, ich fände es super, wenn ihr mal in meinem Forum vorbeischauend könntet ( ist in meiner Signatur zu finden ). Mach ich irgendetwas falsch oder warum kommt niemand, obwohl ich hier schon Werbung geschaltet hab'?
Mit den großen, selbstbewussten Schritten eines Geschäftsmannes schritt Jochen Hammstedt um den Transporter, in dem es bereits heftig polterte. Er legte die Riegel um und hatte innerhalb weniger Sekunden die Klappe heruntergelassen. "Na, was ist? Willst du das Goldtier nicht selber herausholen?", forderte er seine Tochter dann auf. Zögernd trat Alina an den Transporter. Sie starrte auf das riesige Hinterteil des großen, schwarzen Pferdes. Allein seine Hufen waren so groß wir ihr Kopf, zumindest kam ihr das so vor. Schließlich erklamm sie doch die Rampe. Sie, Alina Hammstedt, die Tochter des mächtigen Firmenbesitzers, der in Geld badete und von dem die halbe Stadt abhängig war, würde hier keine Blöße zeigen. Nicht hier, vor diesen blöden Reitermädchen, die bereits kichernd auf dem Zaun hockten. Mit festem Schritt ging sie zum Kopf des Pferdes, band es los und führte es dann unverzüglich die Rampe herunter, ohne es vorher auch nur angesehen zu haben. Mit bebenden Nüstern stand er da, ihr Hengst. Ein Hengst, das war er durch und durch, wenn er jetzt schnaubend umherparadierte und wiehernd seine Ankunft verkündete. Die Sonne spielte auf seinen Muskeln und er als er seinen Kopf hochwarf wirbelte seine rabenschwarze Mähne in der Luft herum. Er war ein durch und durch perfektes Pferd, keine Zelle lag fehl am Platz. Für all das hatte Alina nichts übrig. Er war ein Pferd - ein Pferd wie alle anderen. Doch aus den Augenwinkeln beobachtete sie zufrieden, wie die Reitermädchen aufgehört hatten zu tuscheln. Ganz stumm waren sie geworden, sie saugten den Anblick des Rappen förmlich auf. Pah, sollen sie doch!, dachte Alina. Auf seinen Rücken dürfen sie eh nicht! Der Stallbesitzer, ein gewisser Herr Rieger, ging nun voraus zum Stall. Mit einer kleinen, nagenden Unsicherheit führte Alina ihr Pferd hinter ihm her, durch die Stallgasse an den Gitterboxen vorbei, aus denen einige Pferdeköpfe schauten. Mal mehr, mal weniger freundlich begrüßten sie ihren Stallkameraden, aber Alina wollte nicht auf irgendwelche Pferdegefühlsarien warten und ging schnell weiter. Hinten, direkt neben der Sattelkammer lag die Box, die für die Hammstedters reserviert worden war. Es war die größte im ganzen Stall, sie war mit frischen Sägespänen eingestreut und wartete nun nur noch auf ihren neuen Bewohner. An der Tür war ein goldenes Namensschild angebracht. Midnight Falling Star.
Nathalie starrte auf die hellgelbe Tapete. Sie war viel zu fröhlich für ihre Laune. Dann fiel ihr Blick auf den Umriss des Halfters, das immer noch sorgsam hinter der Gardine verborgen war. Entschlossen warf sie die Decke zurück, stand auf und ging zum Fenster. Sie sah das Halfter keinen Moment lang an und ergriff es sofort mit spitzen Fingern. Bloß der Pferdewelt nicht zu nahe kommen, nie wieder wollte sie sich die Tür in dieses ferne Reich eröffnen. Als sie schon die Hand auf die Klinke gelegt hatte, um ihren Widersacher unten in der Mülltonne zu verbuddeln, überlegte sie es sich doch noch einmal anders. Sie ging zum Schrank, zog die Sockenkiste hervor und ließ das Halfter dahinter in einen Hohlraum gleiten. Dann rammte sie die Kiste wieder zurück an ihren Platz. Zufrieden schloss sie die Schranktür. Mit einem letzten Blick auf den massiven Holzschrank wusste sie, dass sie es niemals fertiggebracht hätte, das Halfter zu entsorgen. Da war ein kleines, zaghaftes Stimmchen tief unten in ihrem Herz, dass ihr sagte, dass sie es behalten musste. Es war das letzte, was ihr blieb, und sie war nicht bereit, jetzt auch noch zu vergessen, was längst Geschichte war. Es reichte schon, dass die anderen einfach weiterlebten. Nathalie tappte barfuß die Treppe hinunter. Unten warteten nur eine Müslischale und eine Packung Cornflakes auf sie. Klar, ihre Mutter war wie so oft bei ihrer Frauenrunde, die sich fast jede Woche traf, und ihr großer Bruder Jakob hing bestimmt wieder mit seinen Kumpels irgendwo herum. Alleine zu frühstücken war langweilig. Nathalie nahm die Schüssel und hockte sich auf die Couch. Sie schaltete den Fernseher an, hörte aber nur mit halbem Ohr zu, während sie ihr Müsli auslöffelte. Es war Ewigkeiten her seit sie das Samstagmorgen-Kinderprogramm zum letzten Mal gesehen hatte. Sonst war sie um diese Zeit immer im Stall gewesen, mitr Johanna und den anderen. Sie hatten erledigt was auch immer anfiel und waren oft schon um acht zur Stelle gewesen. Manchmal hatten sie die Anfänger in den Ponystunden geführt, wenn sie Angst bekamen. Nathalie erinnerte sich dass es ihr immer egal gewesen war, wie lange sie neben dem Pony hertrabte und seinem Reiter gut zuredete. Sie wusste, dass sie als Anfängerin auch nicht gerade mutig gewesen war. Als sie an die freudigen, lachenden Gesichter der Kinder dachte, bekam sie wieder einen Stich ins Herz. Die Kleinen standen gerade erst am Anfang. Noch sahen sie in der Pferdewelt eine goldene, abenteuerliche Spaßsache, aber Nathalie wusste genau, dass auch sie ihre Meinung ändern würden. Die Pferdewelt war keineswegs so heil, wie sie in Büchern und Filmen immer dargestellt wurde. Auch diese Kinder würden einmal das Los des Verlierers zu spüren bekommen. Aber bestimmt nicht so hart wie Nathalie.
Alina konnte nicht verstehen, warum ihr Vater immer noch mit Herrn Rieger quatschte. Durch die dünne Wand hörte sie die Stimmen aus dem Büro. Das ging jetzt schon seit einer halben Stunde so. Klar, kaum konnte ihr Vater vor jemandem prahlen, wie viel Geld er hatte, wo seine Firmen standen und was er seiner allerliebsten Tochter alles leisten konnte kam er nicht mehr vom Thema weg. Stolz warf Alina ihre braunen Locken zurück. Sie stolzierte durch die Stallgasse zu Midnights Falling Star, der sie jedoch keines Blickes würdigte und weiter aufgeregt die neue Umgebung erkundete. Noch nicht mal mein Pferd schaut mich an!, dachte sie mit zusammengekniffenen Lippen. Sie fühlte sich vernachlässigt. Bisher war sie immer gut angekommen, ihr neues Jazzdancekostüm war von allen bewundert worden, sogar ihr Geigenlehrer hatte sie um die Stradivari beneidet. Aber hier hatten alle nur Augen für das blöde Pferd. Gelangweilt schländerte sie an der Sattelkammer vorbei und öffnete dann neugierig die Tür, die sich daneben befand. Hinter ihr verbarg sich die Reithalle. Drei Mädchen bewegten fröhlich schwatzend ihre Pferde, am langen Zügel trotteten die Tiere dahin. Ob ich jemals so relaxt auf diesem Riesengaul sitzen werde?, fragte sich Alina. Denn auch wenn sie es niemals zugegeben hätte, sie hatte Angst vor Midnight Falling Star. Er war größer als die rote Stute, die sie bisher immer geritten hatte. Aber ihr Vater war der Meinung, sie bräuchte jetzt ein richtiges Pferd für größere Aufgaben. Jochen Hammstedt war Alinas Dorn im Auge. Zwar liebte sie dieses Gefühl, ständig alles haben zu können um den anderen zu imponieren, aber längst war sie angenervt von der ständigen Protzerei ihres Vaters. Ja, sie wusste, dass man sich fast alles erkaufen konnte, aber ihr Vater sprang ständig auf irgendetwas anderes an. Wenn die Tochter seines Erzfeindes, dem Leiter einer konkurierenden Firma, ein Snowboard bekam dann kriegte Alina gleich drei. Bekam das andere Mädchen ein Segelboot, dann lag im Hafen bereits eine Yacht für die Hammstedt'sche Tochter. Es war zu einem Spiel von Katz und Maus geworden. Natürlich ärgerte sich Herr Hammstedter ungemein darüber, dass nun die ältere der beiden Töchter seines Feindes bereits auf nationaler Ebene Turniere ritt. Seitdem er den Zeitungsartikel entdeckt hatte floss sein ganzes Geld in die Pferde. Zuerst waren es nur Reitstunden. Bei einer Spitzenreiterin auf einem Pferd, dass bestimmt 50.000 Euro wert war. Und dann kamen die Hindernisse. Monster aus rot-weißen Stangen. Und jetzt dieses Pferd. Wenn sie ganz ehrlich war, hasste Alina das Reiten. Ja, die anderen Dinge waren toll, aber das Reiten war nicht ihr Ding. Wer machte sich schon freiwillig dreckig? Zugegeben, in der enggeschnittenen, modisch karierten Reithose sah sie ganz gut aus, aber viel lieber wäre das Mädchen jetzt im Minirock herumgelaufen. Das stand ihr besser. Die Mädels auf den Pferden hatten ihre Reiteinlage jetzt beendet. "Lorelei kannst du gleich gesattelt lassen, die geht doch eh in der Stunde mit!", rief eines der drei, eine kleinere mit dunkelbraunem Pferdeschwanz. Oh Gott, waren das Schulpferde? Aus welchen armen Verhältnissen stammten diese Gören eigentlich, dass sie sich noch nicht mal eine Reitbeteiligung leisten konnten!? Deswegen hatten sie also so geglotzt als Midnight Falling Star die Rampe herunterkam. Er musste auf sie wirken wie ein Pferd aus einer anderen Galaxie, mit seinbem Stammbaum! "Alina, kommst du?", ertönte da die Stimme ihres Vaters. Erleichtert drehte die Gerufene sich auf dem Absatz um und ging zurück zum Stall.
Johanna nahm den schweren Sattel von Caesars Rücken und legte ihn über die Boxentür. Dann entließ sie den braunen Wallach in seine Pause. Am Abend würde er noch einmal in einer Reitstunde laufen müssen. In der Sattelkammer hievte sie das Lederstück auf einen Bock und wühlte dann in ihrem Spind herum. Irgendwo musste ihre Brotzeit doch sein! "Endlich wieder frei!", ertönte da eine vertraute Stimme hinter ihr. Johanna drehte sich um und blickte in die grün-funkelnden Augen ihrer Freundin Marika. "Hä?", fragte sie nur verständnislos. Sie verstand die temperamentvolle Marika manchmal nicht. "Na, diese dumme Tusse ist verschwunden. Endlich haben wir den Stall für uns!" Johanna zuckte nur mit den Schultern. "Du kennst sie doch gar nicht!" Marika neigte dazu, schnell Vorurteile zu bilden. Das war ihr bereits zum Verhängnis geworden, als sie am Anfang gedacht hatte, Nathalie wäre eine Zicke, bloß weil sie so gut reiten konnte. Sehnsüchtig dachte Johanna an Nathalie. Die beiden waren seit Urzeiten beste Freundinnen gewesen, aber seit jenem Tag tauchte Nathalie nicht mehr im Stall auf. Johanna fand, dass Nathalie einen zu großen Aufstand um die ganze Sache machte, aber andererseits verstand sie ihre Freundin auch gut. Sie dachte an Caesar und wie lieb sie ihn hatte. Wenn man einmal ein Lieblingspferd hat, hält man daran fest. Das hatte Nathalie bewiesen. Aber jetzt war sie völlig unereichbar, lebte in einem parallelen Universum. Obwohl die beiden in der Schule nebeneinander saßen und nur zwei Straßen von einander entfernt wohnten lebten sie seit einiger Zeit in unterschiedliche Richtungen. Johanne schloss ihren Spind und ging aus der Sattelkammer. In der Stallgasse führte Marika einen wilden Tanz auf. "Komm schon Jo, freu' dich wenigstens ein bisschen! Die blöde Pute ist weg und wir können uns in aller Ruhe ihr Pferd anschauen!" Johanna zwang sich zu einem Lächeln und ging zur Midnight Falling Stars Box. Der Hengst schaute sie unverwandt an. Er war wirklich zu schön. In diesem Moment tauchte Jessica aus Mistrals Box auf. In ihrem roten Haar hingen Heuhalme und auf ihrer beigen Reithose war ein riesiger Schlabberfleck, den das gescheckte Pony vermutlich zu verantworten hatte. Sie hängte sich bei Marika ein und zu zweit taumelten die beiden durch den Stall. Unbewusst wurde Johanna noch trauriger. Marika und Jessy, die beiden waren wie Pech und Schwefel. Nichts und niemand konnte die beiden trennen. Aber hatten sie und Nathalie das nicht auch gedacht? Es war eben doch nur eine Redewendung, denn es gab ein paar wenige Dinge, die es doch schafften, sie aus einander zu zwingen. Und eines dieser Dinge war der Tod.
"Gerade sitzen, Hacken runter, Hände nicht auf dem Widerrist ablegen!", kommandierte Herr Rieger Alina herum. Obwohl sie sich bemühte, seinen Anweisungen zu folgen ärgerte sie sich doch darüber, dass dieser Mann ihr einfach so etwas befehlen konnte. Schließlich war sie hier doch die Pferdebesitzerin! Unter ihrem teuren Stübbensattel trabte Midnight Falling Star. Der Hengst blähte aufgeregt die Nüstern und griff unglaublich weit aus, wie um einer Stute zu imponieren. Als er auf einen seiner zahlreichen Rufe endlich aus dem Stall eine Antwort bekam warf er imposant den Kopf hoch. Ängstlich graff Alina in die Zügel. "Nein, nein, die Zügel sind zum Lenken da, nicht zum Festhalten!", rief Rieger fast verzweifelt. Kichern kam von der Tribüne. Als der Rappe sich endlich gefangen hatte begann auch schon die Galopparbeit. Zirkel, Linien und andere komische Figuren. Der Reitlehrer wurde nie müde noch einmal in sein Repertoire zu greifen und wieder eine der Figuren zu fordern, die Stefanie Danzt, Alinas vorherige Trainerin, nie erwähnt hatte. Bei ihr hatten nur die Hindernisse gezählt. Gerade glaubte Alina fast, das Springen lieber zu mögen, da viel ihr Blick auf die zwei Hindernisse in der Bahnmitte. Ein Steilsprung und ein zur Abwechslung blau-gelber Oxer. Wie hoch mochten sie wohl sein? Ein Meter? Ein Meter zwanzig? Oder noch höher? Sofort kehrte der Respekt zurück, aber da war auch ein kleines bisschen Genugtuung. Die dummen Reitertussen sprangen mit ihren lahmen Schulpferden bestimmt nicht so hoch! Kaum hatte sie zu Ende gedacht forderte Herr Rieger auch schon den ersten Sprung. "Das ist ein Klacks für ihn. 70cm schafft er mit links, aber du musst dich erst mal an sein Springgefühl gewöhnen." Beinahe hätte Alina stolz entgegnet, dass das nicht nötig sei, aber dann biss sie sich auf die scharfe Zunge. Sie wollte nicht vor versammeltem Publikum gleich über S-Sprünge gehetzt werden. Und außerdem sahen die Stangenmonster wirklich riesig aus... Zaghaft drückte sie die Sporen an Midnights Bauch. Aus dem Stand galoppierte der Hengst an, er raste auf das Hindernis zu. Nein, wir werden garantiert hineindonnern! Sofort waren Alinas Hände wieder in den Zügeln. Mit rollenden Augen schlitterte der Rappe unter ihr über den Hallenbelag und kam gerade noch vor den Stangen zum Stehen. "Herrschaftszeiten noch mal!", donnerte Rieger los. "Du sollst reiten, nicht bremsen!" Eingeschüchtert setzte sich Alina wieder zurecht und sah ihn irritiert an. Sie hatte das Pferd doch lediglich verlangsamen, nicht aber stoppen wollen! "Was stehst du noch rum? Probier's noch mal!" Seufzend gab Alina die Hilfe zum Galopp. Wieder preschte Midnight Falling Star los, aber diesmal ließ sie sich nicht beirren. Entschlossen gab sie kurz vor dem Sprung noch einmal Druck mit den Sporen und Pferd und Reiter schossen über den Sprung. Danach jagte Falling Star jedoch unkontrolliert weiter. Er rannte sich in der kleinen Halle die Beine aus dem Leib und wendete blitzartig, wenn er sich von einer Wand konfrontiert sah. Alina klammerte sich an seine kurze Mähne und hoffte, dass er irgendwann müde wurde. Müdigkeit war bei Falling Star jedoch nicht zu erkennen, als er endlich stehen blieb. Er buckelte noch ein paar Mal, dann ließ er sich von Herrn Rieger am Zügel fassen. "Ok, Schluss für heute. Er muss sich eben noch ein wenig an dich gewöhnen! Steig' am besten ab und führe ihn noch ein wenig!" Alina schwang sich so graziös wie möglich aus dem Sattel, rührte die Zügel jedoch nicht an. "Meinetwegen kann er in die Box. Wenn sie wollen, dass er sich lahm läuft müssen sie schon einen Stallburschen beauftragen. Ich jedenfalls rühre das Biest nicht mehr an!" Stolz warf sie ihr Haar zurück und stiefelte dann aus der Halle. Sie hörte noch genau, wie Herr Rieger hinter ihr her fluchte. Sein Pech. Das Pferd mochte sie offensichtlich nicht, und sie mochte das Pferd nicht. Sie hatte keine Lust, sich noch weiter mit dem Gaul abzugeben, der ihr beinahe alle Knochen gebrochen hätte. Vor der Stalltüre wartete bereits ihr Vater. Als sie sich wortlos noch mit Reitkappe auf dem Kopf auf den Befahrersitz warf, schaute er sie überrascht an. "Was ist denn los, Alina?", fragte er. "Springt das neue Pferd nicht gut genug?" Alina prustete verächtlich. "Pah, springen kann es, aber es ist ein wahrer Teufel! Hätte mich beinahe ermordet!" "Quatsch, ein 20.000 Euro Pferd ermordet niemanden. Ich habe für das Tier bezahlt, jetzt gewinnst du auch ein paar Schleifen mit ihm. Aber L, damit das klar ist, solche Babynummern mit Ponys lassen wir uns nicht mehr bieten!"
"Nathalie, mach' auf!" "Nein." "Bitte!" "Nein." "Langsam gehst du mir echt auf die Nerven!" "Na und?" Seufzend lehnte sich Johanna an die Tür des Zimmers ihrer Freundin. "Und? Ich sag' doch, sie ist sturer denn je!" Das war Nathalies Mutter von unten. Ja, sie hatte Johanna vorgewarnt, aber die konnte es einfach nicht glauben, dass ihre Freundschaft einfach so zu Ende sein sollte. Sie kannten sich doch schon seit der dritten Klasse! "Nathalie, im Stall ist neuerdings ein total irres Pferd!", versuchte sie es noch einmal. Aber sie hätte wissen sollen, dass das der falsche Weg war. "Lass mich in Ruhe mit den blöden Pferden! Lasst mich alle in Ruhe!" Na gut, du hast es nicht anders gewollt!, dachte Johanne wütend. Sie drehte sich um und rannte die Treppe herunter. "Tschüss, Frau Greber! Richten sie Nathalie beste Grüße aus, falls sie noch einmal aus ihrem Kämmerchen auftaucht. Sie soll sich bloß nicht einbilden ich wäre noch ihre Freundin!"
Nathalie warf sich auf ihr Bett. Sie wusste genau, dass sie es sich jetzt endgültig mit Johanna verscherzt hatte, aber sie konnte es einfach nicht hinnehmen, dass ihre beste Freundin einfach so weiterlebte. Die ging noch immer fast täglich in den Stall, prusselte um Caesar herum und tat, als wäre nichts geschehen. Aber andererseits... die Sache war schon Wochen her. Und wenn si ganz ehrlich war, sehnte sich Nathalie ebenfalls nach den geliebten Vierbeinern. Auch wenn der wichtigste unter ihnen nicht mehr da war. Sie fasste einen Entschluss. Sie würde noch einmal in den Stall zurückkehren. Um sich mit Johanna auszusprechen und ihren Spind leerzuräumen. Um allen Pferden noch ein Abschiedsleckerli zu geben. Und dann wäre diese Welt ein für alle mal abgeschlossen.
Es war schon fast dunkel als Alina Midnight Falling Star zurück in seine Box führte. Sie verstand nicht, warum Herr Rieger das Training so spät angesetzt hatte und ärgerte sich darüber, dass kein Stallbursche mehr zugegen war. Sie war jetzt dreimal geritten und hatte sich immer ums Absatteln drücken können. Falling Star sah sie erwartungsvoll an. "Guck' nicht so blöd, ich lass' dich schon nicht die ganze Nacht so stehen!" Suchend sah sie sich noch einmal um, dann klinkte sie den Führstrick in den Trensenring. Sie wollte auf keinen Fall gebissen werden und sich damit das souveräne Gefühl verderben, dass sie wiedergewonnen hatte, nachdem die Reitstunde heute ohne irgendwelche Katastrophen vorüber gegangen war. Sie hatte immerhin schon eine kleine Kombination genommen, ohne dass das Riesenpferd durchgedreht war. Ratlos sah sie auf den teuren Sattel. Ein Kratzer und ihr Vater würde sie umbringen. Aber diese doofe schwarze Pferd würde sie umbringen, wenn sie sich am Gurt zu schaffen machte, oder? Vorsichtig hob Alina das Sattelblatt an. Sie fummelte ein wenig an den Schnallen herum und löste schließlich mit spitzen Fingern den Gurt. Der Sattel rutschte herunter und ehe sie es sich versah hatte sie das schwere Teil auf dem Arm. Wie schafften die anderen es nur, mit diesem kiloschweren Gewicht so lässig auszusehen? Ächzend warf sie ihn über die Boxentür. Dann machte sie sich mit spitzen Fingern an der Trense zu schaffen. Als sie das mit Pferdespucke versehene Zaumzeug schließlich in der Hand hielt, eckelte sie sich unmaßbar. So schnell wie möglich brachte sie das Teil in die Sattelkammer, wo sie bestimmt fünf Minuten frisches Wasser über das Gebiss laufen ließ. Dann hängte sie es in den Spind, wo es genau wie der Sattel eingeschlossen war, um es vor einem Diebstahl zu bewahren. Kaum hatte sie den Sattel weggebracht erschien jemand an Midnight Fallings Stars Box. Ein Mädchen. "Das ist mein Pferd. Was hast du hier zu suchen?", fragte Alina scharf. Die sollte sich nicht einbilden dass das hier ein Museum für Klassepferde war. So wie die aussah gehörte sie sowieso nicht in die Reiterszene. Bestimmt hatte sie keine Ahnung von Pferden. "Weißt du, wo Johanna Lutz ist? Sie reitet hier!", fragte die Andere jetzt. Alina musterte sie erst, bevor sie ihre Antwort gab. Schlank und groß, dunkelblonde Haare. Sie trug einfache Jeans und ein verwaschenes T-shirt. "Nein, kenn' ich nicht. Und jetzt hör' auf, mein Pferd anzugaffen! Zum Anglotzen ist er zu schade!"
Thema: Re: Der Rappe namens Midnight Falling Star Mi Dez 24, 2008 5:46 am
Frohe Weihnachten euch allen... Alina soll übrigens auch arrogant rüberkommen! ----------------------------------------------------------------------------------------------------------
5. ( Fortsetzung, neuer Absatz )
Verträumt sah Johanna auf den Rappen und seine Reiterin. Die beiden preschten zwar unkontrolliert durch den Parcours doch sie hätte alles dafür gegeben, einmal an Alinas Stelle in Falling Stars Sattel zu sitzen. Die dumme Tussi verdiente den Hengst sowieso nicht. Tja, es waren halt immer die falschen, die ein eigenes Pferd besaßen. Midnight Falling Star hatte eine unglaubliche Sprungkraft. Es war fast untertrieben, in in einer L-Prüfung starten zu lassen, aber Alina war natürlich noch längst nicht weiter. Von Herrn Rieger hatte Johanna spitzgekriegt, dass die Zicke gerade mal zwei Monate ritt. Diese zwei Monate mussten unglaublich intensiv gewesen sein wenn sie jetzt schon durch einen L-Parcous konnte. "Nein, du musst viel ruhiger anreiten! Midnight verpasst den Absprung sonst total!", schimpfte der Reitlehrer jetzt. Mit hochrotem Kopf riss die Reiterin an den Zügeln und brachte ihr Pferd zu Stehen. "Er rennt einfach los!", beschwerte sie sich dann. "Das ist deine eigene Schuld! Du traktierst ihn pausenlos mit den Sporen!", entgegnete Rieger. Johanna seufzte. Es war ihr ein Dorn im Auge, dass Alina mit scharfen Sporen ritt. Man konnte bereits erste Spuren auf den schwarzen Flanken des Hengstes erkennen und glücklich schien er mit seiner Besitzerin ganz und gar nicht. Sie reitet ihn noch kaputt!, dachte Johanna traurig. "Schluss für heute, ihr brecht ja gleich zusammen! Aber ihr müsst euch schon anstrengen, um bei dem Turnier nächste Woche überhaupt Chancen zu haben!" Johanna horchte auf. Turnier? Nächste Woche? Das konnte doch nur ein Witz sein. Aber an Alinas selbstsicheren Grinsen erkannte sie, dass es ganz bestimmt kein Witz war...
Thema: Re: Der Rappe namens Midnight Falling Star So Jan 04, 2009 5:57 am
6. Turnierdebakel
Die Flaggen des Vereins knatterten im Wind. Schon von weitem konnte man erkennen, dass das Turnier gut besucht war, überall parkten Hänger und Besucher ströhmten dem großen Sandplatz und der Halle, in der die Dressurprüfungen abgehalten wurde, entgegen. Alina war schon einmal auf einem solchen Turnier gewesen. Damals mit der roten Stute Chelsea von ihrer alten Trainerin. Sie erinnerte sich noch gut an jenen Tag, die goldene Schleife hatte Chelsea an den Zaum gesteckt bekommen. Aber das war A gewesen. Auf ein völlig anderes Niveau wurde sie jetzt mit einem völlig anderen Pferd losgelassen - hinten im Hänger stand der große, schwarze Midnight Falling Star. Die ersten Reiter ritten bereits gen Abreiteplatz als Alina zusammen mit ihrem Vater den Hengst auslud. Herr Rieger tauchte wenig später ebenfalls am Hänger auf, aber sie war nicht die einzige seiner Schülerinnen, die er hier betreute und so verschwand er Minuten später wieder im Getümmel. "Die erste Teilnehmerin des L-Springens, Valeska Spied auf C'mon Boy, geht jetzt in den Parcours!", kündigte der Kommentator an. Alina fühlte, wie ihr flau im Magen wurde. Nur noch eine halbe Stunde und sie würde sich zwischen den Sprüngen wiederfinden. Ruhig, keine Hammstedt hat Angst vor so ein paar mickrigen Sprüngen!, ermahnte sie sich selbst und straffte die Schultern. Eigentlich hatte sie ja auch gar keine Angst vor den Sprüngen, nur vor dem Pferd hatte sie Respekt. Herr Hammstedt hatte den Sattel bereits irgendwie auf Midnights Rücken befördert. Alina kontrollierte noch einmal ob er richtig saß, obwohl sie dafür eigentlich überhaupt keinen Blick hatte. Es sah eben professioneller aus. Auch die Trense bugsierte Herr Hammstedt in das Maul des Hengstes und Alina war froh darüber, dass diese Sabberarbeit nicht an ihr hängenblieb. Schließlich konnte sie ein komplett für sie aufgezäumtes Pferd am Zügel nehmen. Der Abreiteplatz war voll. Es war gar kein Platz vorhanden, um mit einem durchgedrehten Pferd zu kämpfen und Alina befürchtete schon irgendjemanden anzurempeln. Aber wenn schon, die sollten gefälligst aufpassen! Reiter für Reiter wurde in den Parcours gerufen. Alina ließ Midnight Falling Star nur am straffen Zügel Schritt gehen, weder den langen Zügel noch ein bisschen Trab oder Galopp wagte sie. "He, dein Pferd muss aber noch kräftig aufgewärmt werden, du bist nach zwei Startnummern dran!", rief ihr der Mann zu der am Eingang zum Parcours die Reiter ausrief. Alina ignorierte ihn. Der sollte sich bloß nicht einbilden er könne ihr irgendetwas befehlen! Als sie dann tatsächlich einritt, ärgerte sie sich doch darüber, dass sie nicht galoppiert war. Garantiert würde Falling Star gleich lospreschen und sie würde die Kontrolle verlieren. Das wäre vor all den Zuschauern wirklich peinlich! "Mit der Startnummer 74 reitet nun Alina Hammstedt auf dem Hengst Midnight Falling Star ein!", laberte der Kommentator. Alina straffte noch einmal die Zügel, dann gab sie Druck auf die Flanken des Pferdes. Nein, lospreschen wollte Mindight nicht. Überhaupt nicht. Er fiel in einen Zuckeltrab und dann in einen Schaukelgalopp. Am Zaun kicherte irgendwo ein Zuschauer als sich der sonst so temperamentvolle Hengst über den ersten Oxer hievte. Na warte, dachte Alina, über Alina Hammstedt kichert man nicht! Geziehlt gab sie dem Rappen die Sporen. Der reagierte sofort. Er nahm den nächsten Steilsprung mit unglaublichen Sprung und überflog den Wassergraben. Dann raste er durch die zweifache Kombination und prallte fast in das darauffolgende hohe Gatter. Verzweifelt zog Alina am Zügel, doch ihr Pferd rannte einfach geradeaus weiter ohne die Wendung zu nehmen, die zum nächsten Sprung, einem bunten Oxer, führte. Als sie dann irgendwo abseits an dem Sprung vorbeipreschten wusste Alina, dass sie vier Fehlerpunkte auf ihrem Konto hatten - für die Verweigerung. Nur ließ sich der Ritt jetzt keineswegs mehr zum guten wenden denn Midnight Falling Star rannte soeben auf den letzten Sprung des Pacours zu, von dem sie eigentlich noch vier Sprünge entfernt waren. "HALT AN!", schrie Alina wütend, riss am Zügel und hängte sich mit aller Kraft nach hinten, aber der Rappe reagierte nicht mehr. Er überflog den grünen Steilsprung, buckelte ein paar Mal und raste dann mit einer völlig im Sattel zusammengesackten Alina in Richtung Ausgang. Tränen der Wut und Enttäuschung glitzerten auf dem Gesicht des Mädchens, als es von dem Helfer abgefangen wurde. In dem Moment knisterte der Lautsprecher. "Alina Hammstedt wurde wegen Ignorierung der Parcoursreinfolge disqualifiziert!"
Johanna lehnte an Ceasars Box und beobachtete den schwarzen Hengst schräg gegenüber. Er streifte unruhig durch seinen Stall und wieherte regelmäßig. Noch gut erinnerte sie sich an den gestrigen Tag. Sie war nur kurz in den Stall gefahren um ihre Brotzeitbox zu holen, die ihre Mutter verlangt hatte und die sie im Spin vergessen hatte, als sie sah das die Privatreiter mit ihren Pferden soeben von einem Turnier zurückgekehrt waren. Der silberne Hänger der Hammstedts war nicht zu übersehen gewesen. Alina blieb heulend im Auto sitzen, während Herr Rieger Midnight Falling Star auslud. Die blöde Ziege lässt die Arbeit aber auch wiklich immer von anderen machen!, hatte sie gedacht, das wusste sie noch ganz genau. Unauffällig hatte sie ihren Reitlehrer dann nach dem Ergebnis gefragt. "Disqualifiziert!", hatte der nur gemuffelt. Daraus sollte mal einer schlau werden. Hatte Alina sich etwa den Richtern über pampig verhalten? Johanna war jedenfalls zum ersten Mal froh, dass sie kein eigenes Pferd besaß, mit dem sie auf Turniere fahren konnte. Sie wollte nicht Zeugin eines weiteren Dramas werden, in dem sie wieder erkennen musste, wie schade es doch war das Midnight ausgerechnet Alina Hammstedt gehörte. Obwohl... eigentlich hatte sie ja jetzt fast ein eigenes Pferd um auf Turniere zu fahren. Herr Rieger hatte ihr angeboten, Caesar in ein paar Wochen in einer E-Dressur vorzustellen und die Chance wollte sie sich nicht engehen lassen. Sie liebte den Wettkampf, obwohl ihr das Wohl des Pferdes immer wichtiger war. Mit einem Schmerz im Herzen dachte sie an Nathalie. Im Sommer bei den Reiterspielen waren sie und ihr Reitpferd unschlagbar gewesen. Nathalie und der Schimmel, sie waren ein Dreamteam. Aber jetzt gab es dieses Dreamteam nicht mehr.
Mi Dez 17, 2008 6:19 am
