Ich habe mich entrschieden, auch einen Ausschnitt aus meinem aktuellsten Buch hier reinzustellen, um mal eure Meinung zu hören. Hier ist er also:
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Die Sonne stieg höher und ließ in der Ferne die Luft schillern. Melinda beschloss, nur noch bis zu dem offensichtlich vom Blitz getroffenen Baum in der Ferne zu gehen und dann zurückzukehren, um sich zu Hause mit einem Wassereis zu erfrischen.
Der Baum hatte etwas Gruseliges an sich, ob wohl es heller Tag war. Seine gespaltenen Äste ragten wie mahnende Finger in den Himmel. Trotzdem hatte es jemand nicht lassen können, seinen Namen in den graubraunen Stamm zu ritzen. Andächtig fuhr Melinda über die alte Rinde. Sie umrundete den Baum und sah sich genau die Formen der teils wild zerklüfteten Astenden. Solch einen Baum hatte sie noch nie zuvor gesehen.
Als sie gerade wieder um den Stamm herumgehen wollte, um umzukehren, sackte ihr Fuß plötzlich in die Erde ein. Mit einem Ruck stand sie zehn Zentimeter tiefer, und ihr Knöchel schmerzte bereits verdächtig. Mit zusammengebissenen Zähnen sah Melinda an sich herunter. Sie stand in einem Kaninchenloch.
Das Loch war nicht besonders groß, aber groß genug, um hineinzutreten. Zu allem Überfluss wurde die obere Öffnung durch eine Wurzel des Geisterbaumes blockiert, die zu Melindas Leidwesen nicht zur Seite nachgab und den Fuß deshalb unangenehm einquetschte.
„Shit!“, zischte sie hinter ihren Zähnen hervor. Sie saß fest. Stöhnend ließ sie sich am Stamm des Baumes herunter. Mit allem hatte sie gerechnet – mit Bränden, Wolfsangriffen und Klapperschlangenattacken, aber nicht mit einem Kaninchenloch. Und das war ihr nun zum Verhängnis geworden.
Hier finden sie mich doch nie. Ich werde hier wohl an Hitzeschlag sterben und vergammeln müssen.
Die Aussichten waren nicht gerade rosig, und obwohl Melinda beim besten Willen nicht an einen toten Baum gelehnt, mit einem Fuß im Kaninchenloch ihren letzten Atemzug tun wollte, so fiel ihr doch nichts ein, das ihre aktuelle Lage verbessern könnte. Naja, noch war sie dem Tod vielleicht noch weit entfernt, aber die Chance, dass sie hier, auf der zivilisationsabgewand¬ten Seite eines Gruselbaumes, entdeckt wurde, war ziemlich klein. Also abwarten.
In der Ferne kringelte sich die Luft wieder, als wäre sie flüssig. Dicht über dem Boden glitzerte sie richtig, wie ein echter See. Hilfe, ich sehen schon Fata Morganas! Davon war Melinda nun wirklich nicht begeistert. Der Fantasiesee hatte außerdem ihren Durst angeregt und nun angelte sie nach der Wasserflasche, die sie neben sich ins hohe Gras geworfen hatte. Als sie sie endlich in den Händen hielt, merkte sie, dass die Sonne sie bereits komplett aufgewärmt hatte. Na super, noch nicht einmal eine kleine Abkühlung hatte sie.
Wieder tanzten Punkte am Horizont. Schwarze Punkte. Aber diesmal vertraute Melinda ihren Augen nicht, vielleicht bildete sie sich das auch nur ein, so wie den See. Vielleicht zerbrach sie sich auch schon die ganze Zeit irgendeine optische Täuschung den Kopf, wenn sie an die geheimnisvollen Pferde dachte.
Nach ein paar nicht sonderlich erfrischenden Schlucken aus der warmen Flasche lehnte sich Melinda an den Stamm und schloss die Augen. Wen interessierte es schon, ob jetzt noch eine Klapperschlange vorbei kam. Ihr Schicksal war so gut wie besiegelt.
Als sie die Augen wieder öffnete, waren die Punkte jedoch immer noch nicht verschwunden. Aber es war nur noch ein Punkt, und er wurde stetig größer. Die Umrisse der Gestalt waren bereits vage zu erkennen. Tatsächlich war es vierbeinig, aber es war zu hoch, um ein Pferd zu sein. Eine Giraffe etwa? Quatsch, Giraffen gab es in Nordamerika nicht. Zumindest nicht in freier Wildbahn.
Das Wesen durchquerte den imaginären See ohne Probleme, was ebenfalls schließen ließ, dass der See wirklich nur Einbildung war. Damit passierte das Etwas jedoch auch die Grenze zur Realität. Es bereits zu nah, um nur eine Fata Morgana zu sein.
Und was war, wenn es doch irgendein gefährliches Tier war? Irgendeine bisher unentdeckte Spezies? Gerade wollte Melinda versuchen, aufzustehen, um zu fliehen, so lange es noch möglich war, da fing das Etwas an zu winken.
Es war doch ein Pferd. Ein Pferd mit einem Reiter auf seinem Rücken. Und dieser Reiter schien sie tatsächlich entdeckt zu haben!
Melinda bemühte sich, so sichtbar wie möglich zurückzuwinken.
„Haaaallooooo!“, rief sie, und wirklich, der Reiter erwiderte ihren Ruf.
„Ich koooooomme!“
Das Pferd trat jetzt endgültig aus dem Flimmern der Luft. Es wurde klar und scharf, und bald konnte Melinda sogar seine Farbe erkennen. Es war schwarz-weißgefleckt, ein Schecke, und auf seinem Rücken saß ein Mädchen, etwa so alt wie sie selbst. Je näher die Beiden kamen, desto klarer erkannte sie ihre Konturen.
Blondes Haar fiel der Anderen in einem Pferdeschwanz in den Nacken. Sie war schlank und weder groß noch klein, trug verwaschene Jeans und ein oranges T-Shirt mit Aufdruck.
„Brauchst du Hilfe?“, rief sie, noch aus der Entfernung.
Melinda nickte, wurde sich aber dann darüber bewusst, dass das Mädchen diese Geste noch nicht erkannt haben konnte.
„Ja!“
Das Pferd und seine Reiterin kamen nun immer näher. Melinda konnte die silbernen Schnallen am Zaum erkennen und auch die blauen Augen, die aus dem Gesicht des anderen Mädchens aufblitzten.
Endlich hatten die Beiden sie erreicht. Das Mädchen sprang aus dem Sattel und führte den Schecken am Zügel zu Melinda.
„Was ist passiert? Wie lange sitzt du hier schon?“
„Keine Ahnung, vielleicht eine halbe Stunde, obwohl es mir viel länger vorkommt. Ich stecke mit meinem Fuß in einem Kaninchenloch fest!“, antwortete Melinda.
„Oh, oh.“ Das Mädchen machte sich an der Wurzel zu schaffen. Als sie das widerspenstige Gewächs nicht mit der Hand zurückbiegen konnte, säbelte sie mit einem Taschenmesser daran herum.
Gute Idee, werde ich mir für den nächsten Ausflug merken! Aber der nächste Ausflug würde wohl nicht sehr bald sein, denn der Knöchel schmerzte höllisch.
„Ich bin Melinda. Wir sind neu hier hergezogen!“, begann sie dann.
„Oh, sorry, ich habe ganz vergessen, mich vorzustellen! Ich heiße Lauren. Und mein Pferd heißt Jasco. Naja, eigentlich ist er nicht wirklich mein Pferd… Er gehört dem Ferienpark!“
„Du kommst vom Ferienpark? Dort arbeitet mein Vater!“
„Oh, wirklich? Tja, es gibt so viele Angestellte, da behalte ich kaum den Überblick!“ Lauren lachte. Kleine Grübchen bildeten sich um ihre Mundwinkel und ihre Augen sprühten vor Lebenslust.
„Dann machst du also nur Urlaub hier?“, hakte Melinda nach.
„Nein, nein, mein Vater arbeitet als Stallmeister im Ferienpark. Sonst dürfte ich kaum alleine mit einem der Pferde raus.“ Lauren hielt einen Moment inne, dann sägte sie weiter an der verhängnisvollen Wurzel. Jasco sah ihr dabei fast wie ein Mensch über die Schulter. Melinda schauderte. Bisher hatte sie kaum Kontakt zu Pferden gehabt, und der Gedanke, dass sie diesem großen Tier im Moment schutzlos ausgeliefert war, behagte ihr nicht gerade.
„Hat die Ferienanlage viele Pferde?“, fragte sie, um ein Schweigen zu vermeiden.
„Geht so. Vielleicht zwanzig oder dreißig, genug eben, um den Touris Reittouren in die Wildnis zu bieten.“ Ein bisschen Bitterkeit schwang in Laurens Stimme mit, und Melinda fragte sich, ob sie es so schlimm fand, Jasco mit den Urlaubern zu teilen.
„Magst du Pferde?“, fragte Lauren plötzlich unvermittelt.
Melinda dachte nach. Sie hatte etwas Angst vor ihnen, und wirklich nachgetrauert hatte sie der Tatsache, dass die Stadt wenig Kontakt zu Pferden bot, nie, aber wenn sie darüber nachdachte, fand sie die Tiere doch ganz schön. Sie hatten etwas Elegantes und Unantast-bares an sich.
„Ja“, sagte sie also. „Ich meine, so ziemlich.“ Verlegen zwirbelte sie eine Haarsträhne. Lauren schnitt noch immer an der Wurzel herum und merkte zum Glück nicht, wie nutzlos und unbeholfen Melinda sich fühlte.
Irgendwann machte es Kratsch und die Wurzel war entzwei. Vorsichtig manövrierte Melinda ihren Fuß aus dem Loch. Bereits in der kurzen Zeit war der Knöchel angeschwollen und hatte sich blau verfärbt.
„Shit!“, fluchte sie.
„Sagt man nicht!“, ergänzte Lauren halb ernst, und als ihre Blicke sich trafen, mussten die beiden Mädchen lachen.
„Tja, damit kannst du wohl nicht nach Hause latschen. Wo wohnst du überhaupt?“
„Hinten an der Straße.“ Melinda wies vage in Richtung ihres Hauses.
„Hillside Way meinst du?“
Melinda nickte. Diese Adresse hatte sie zumindest Jessy und Grace gegeben, also musste etwas daran stimmen.
„Da bist du ja ganz schön weit gelaufen… Immerhin etwa eine Meile!“
Ein Stöhnen war alles, was Melinda dazu einfiel. Wie sollte sie nur eine ganze Meile nach Hause schaffen, mit einem blau angeschwollenen Knöchel!?