Schattenkleid
Verfasst am: 11.08.2006, 17:44
"Marie?"
Eine vertraute Stimme riss das Mädchen aus ihrer Konzentration, und der Käfer, der noch eben so lebendig durch den Raum krabbelte, lies seine Glieder wieder hängen, wie es sich für ein totes Insekt geziemt.
Der feuerrote Kopf der kaum 12 Jährigen erschien in der Dachbodentür, und eilig kletterte sie hinunter, und rannte aus dem Haus, wo ihr Vater sie im Garten gerufen hatte.
Außer Atem kam sie bei ihm an, und seine Stirn zeige Sorgenfalten, als sie vor ihm stand.
"Deine Freundin war hier...Samira, weißt du, die mit den blonden Haaren...ihr hattet eine Verabredung, sagte sie, hast du das vergessen?"
Es war schon so spät? Nur ganz kurz wollte sie weiterprobieren, was sie zufällig entdeckt hatte - die Möglichkeit, tote Tierchen wieder Leben einzuhauchen...und vor drei Stunden hatte sie damit begonnen, wenn sie nun ihre Verabredung verpasst hatte. Um eine jedwede Antwort verlegen stand seine Tochter vor ihm, noch immer nach Luft schnappend, und errötend. Sie hatte noch nie eine Verabredung vergessen.
"Marie, ich mache mir Sorgen um dich...du warst kaum draußen in den letzten Tagen...was hast du nur?"
Sanfte braune Augen sahen auf das Mädchen herab, und bemerkten vor ihm, dass seine Beine und des Kleides Saum voller Staub und Spinnenweben waren. Der Mann senkte die Stimme und kniete sich zu seiner Tochter, um ihr die Hände auf die Schultern legen zu können.
"Du warst auf dem Dachboden...was hast du da gemacht? Du sollst nicht hinauf, der Boden ist morsch und unsicher..."
Unschuldige Augen, ähnlich braun wie die seinen, nur heller, sahen zu dem Mann.
"Ich weiß welche Stellen gefährlich sind, Papa...ich bin da doch nicht zum ersten Mal. Ich...spiele dort gern!"
Weder das eine noch das andere war gelogen, wenn man Ansätze der Totenbeschwörung als 'Spielen' definieren mochte, und trotzig-hilflos sah die kleine Rothaarige ihren Vater an. Ihr Vater, der Pastor war, nebenbei bemerkt. Mit seiner Frau Bea lebte er seit etwa 13 Jahren auf einem kleinen Dorf, und arbeitete für die dortige Gemeinde. Als sie dort hinzogen kauften sie sich ein altes Bauernhäuschen mit großem Garten, weil sie an das Kind dachten, welches sie bald haben würden.
Dieses Kind war nun da, und hatte auch bald viele Freunde im Dorf gefunden. Doch seit einigen Wochen veränderte sich das Verhalten des Mädchens immer wieder, in kleinen Schritten, und machte seinem Vater Sorgen. Die Mutter merkte es kaum, so hingebungsvoll wie sie sich ihrer Hausarbeit widmete.Doch nach diesem Gespräch schien alles wieder normal, und die Wochen verstrichen...
Marie hatte gelernt sich anzupassen. Ihr 13. Geburtstag war jüngst vorbei, und es war ein schönes Fest mit köstlichem Kuchen gewesen. Sie hatte ein Messer bekommen, damit sie schnitzen konnte, und Seile, die sie stets gern an Bäume geflochten hatte, um sich daran hinaufzuziehen. Doch niemand hatte gemerkt, wie gut sie sich anpasste. Nachts lag sie selten in ihrem Bett, und wann immer sie nicht irgendwo helfen musste, verschlief sie ihre Tage in Verstecken. Mal hinter einer Hecke, mal auf einem Baum, holte sie sich den Schlaf, den die Nacht ihr nicht zu geben vermochte.
Wieder saß sie in stiller Konzentration, und Minka, die schneeweiße Hauskatze, die vor ein paar Tagen an ihrem Alter zugrunde ging, schien unter ihrer Kontrolle beinahe zu tanzen. Als sich die Dachbodentür knarrend öffnete, und Maries Vater, eine Kerze in der Hand, mit offenem Mund in der Tür stand.
"Meine...meine eigene Tochter..."
so fassungslos klangen die Worte, und schon bildeten sich schuldbewusste Tränen in den Augen des aufgeschreckten Mädchens. Die Katze lag wieder reglos am Boden. Wenige Schritte später lag sie in den Armen ihres Vaters, dessen Gesicht ebenfalls von Tränen feucht war, und der sie an sich drückte, die Kerze stand neben ihnen.
Seine Worte waren so leise, dass niemand, aber auch wirklich niemand, ausser dem Kind in seinen Armen sie hören konnte.
"...ich bin ja so stolz..."
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Wenige Wochen später war alles bereit. Die Kutsche stand vor dem Haus, alles war gepackt, und mittlerweile kannte das ganze Dorf die Geschichte, das Mädchen sei erkrankt, und würde weit fort auf Kur fahren.
Eine stumme Abmachung galt zwischen Vater und Tochter, und als das Mädchen ihre Mutter umarmte, um sie in dieser Lüge zurückzulassen, schämte sie sich nicht.
Sorglos stieg sie in die Kutsche, deren Holz eine edle, dunkle Färbung hatte, und winkte nur noch kurz, als die vorgespannten Rappen in Trab verfielen. Die Nacht legte sich über das Land, und erst am nächsten Morgen hielt die Kutsche an. Ohne auf den Kutscher zu warten, sprang sie aus dem Innenraum, und sah sich vor einem riesigen Haus stehen, das völlig aus schwarzen und dunklen Steinen erbaut war.
Den Mann, hochgewachsen und in einem dunklen Mantel eingehüllt, der auf sie zukam, hatte sie erst im zweiten Augenblick bemerkt.
Kühl lagen seine Augen auf dem jungen, unsicheren Gesicht, doch dann begann sich ein Lächeln in seinen Zügen widerzuspiegeln.
"Nejilia,"
sagte er,
"sei ab heute dein Name. Ich bin Moritem, und von nun an dein Meister, junge Totenbeschwörerin"
Seine Stimme klang beinahe warm, aber sie lies keinerlei Fragen offen oder gar Widerspruch zu. Also nickte sie nur, und folgte ihm, als er auf das Haus zutrat. Der Kutscher, ebenfalls in einer schwarzen Robe, trug ihr Gepäck hinter beiden her.
Das Haus war von Innen nicht viel heller denn von außen, einmal von den zahllosen Kerzen und Fackeln abgesehen, die überall brannten, und flackernd den Weg nach Nirgendwo, wie Marie...nein, Nejilia, ihn heimlich taufte, markierten.
Ebenjenen Weg beschritten die Drei nun, und irgendwann trat Moritem vor eine Tür, die sich auf eine Handbewegung hin öffnete. Ein Raum, so finster wie alle anderen, mit einem großen Bett, finsteren, wehenden Vorhängen, einigen Fackeln und zwei großen Schränken zeigte sich dem Mädchen, und auch ein Schreibtisch und ein Stuhl standen an der Wand. Das Baphomet auf dem Fußboden bemerkte das Mädchen beim Eintreten nicht.
"Dies, Nejilia, ist dein Zimmer. Du darfst dich im Haus bewegen wie es dir beliebt, die Türen die von dir nicht geöffnet werden wollen, wirst du als solche erkennen.
Ich hole dich Morgen"
Mit diesen, völlig absichtlich so formulierten, letzten Worten verlies er das Zimmer, dessen großes Fenster auf eine düstere aber schweigsame Wiese deutete, an die in weiter Ferne ein Waldstück angrenzte. Gerade wollte sie beginnen ihre Sachen auszupacken, als sie bemerkte, wie knöcherne Hände die Schränke schlossen, und ein Schädel lächelte sie aus der Robe des Kutschers an.
"Aallllesssss vveerrtzttaauutt, Missssssssss"
erklang eine doppelzüngig klingende Stimme, die von Überall herzukommen schien, und nachdem er die Koffer in eine Ecke gestellt hatte, verlies auch der Kutscher das Zimmer. Ihre Mutter hatte sich aus der Ferne schon über magere, blasse Hände gewundert...
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Verfasst am: 11.08.2006, 23:18
"Ja...konzentriere dich...lass die Kälte in dich ein, und sie werden dich als eine Schwester erkennen, und dich nicht mehr anrühren..."
Mit glimmenden Augen stand das Mädchen einem Zombie gegenüber, der bedrohlich grunzend auf sie zuwankte, und leise murmelte sie die Worte, die zum Ziel führen sollten.
"Rel Xen Um"
Das Grunzen wurde hohler, der Blick des Zombies verwirrt - doch weiter stapfte er auf sie zu. In einiger Entfernung stand Mortem, von einem Rudel schwarzer Wölfe umgeben, die nur darauf warteten, den Untoten zerfleischen zu dürfen. Wieder trabte sie einige Schritte weg, sammelte ihre geistigen Kräfte, und sprach.
"Rel Xen Um"
Doch diesmal begann der Zombie nur zu rennen, und auf ein einfaches Handzeichen hin, jagten die Wölfe los, und zerrissen die faulige Leiche, bevor sie dem Mädchen gefährlich werden mochte. Wedelnd tänzelte der Größte der Vier, Remus, auf das Mädchen zu, und trachtete danach seine, nach zu altem Fleisch stinkende, Zunge durch ihr Gesicht zu wischen.
Gekonnt wehrte sie die Sabberattacken ab, und strich dem großen Tier resigniert durchs Fell. Als sie aufblickte, sah sie in die Augen ihres Meisters.
"Es gelingt einfach nicht..."
begann sie, und unterbrach sich, als sie das Lächeln in Moritems Zügen bemerkte.
"Du bist kurz davor...und du hast ihn so stark verwirrt, dass er sich instinktiv entschieden hat, um nicht...nunja, 'denken' zu müssen..."
Ein zögerndes Lächeln schlich sich auch auf Nejilias Züge, und mit dem Arm Moritems auf der Schulter, schritten sie durch die gigantischen Kerkerhallen zurück.
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Sie war nunmehr 5 Jahre hier, in denen sie viel von ihrem Meister gelernt hatte. Und auch sonst hatte sie einiges erfahren. So war ihr mittlerweile klar, dass jegliche Bediensteten im Schloss, untote Diener oder zumindest doch 'Angestellte' waren, die ihr Meister sich unterstellt hatte, und auch dass sie beide als Lebende in diesem Schloss einzig waren. Mortem hatte ihr einiges von vorherigen Schülern erzählt, und teilweise auch von ihren Toden durch Inquisition, Paladine und anderes 'rechtschaffendes' Volk, aber sie hatte ihm immer wieder erklärt, sie sei bereit, ihrer Talente wegen umgebracht zu werden. Ihre Worte hatten den Meister zum Schmunzeln gebracht, und so hatten sie in friedlicher Sympathie füreinander gelebt.
Langeweile kannte weder der eine noch der andere - denn zwischen Hauswölfe ausführen, nächtlichen Lehrgängen, Unterricht und Mahlzeiten unterhielten sich beide viel, und diskutierten auf einer Ebene, seit Marie - Verzeihung, Nejilia -16 Jahre alt geworden war.
Der Meister hatte sie nie bei ihrem richtigen Namen genannt, sie war sich nicht einmal sicher, ob er ihn wusste, aber er hatte ihr eingebläut ihn zu vergessen, weil er im Bereiche der Magie nur allzu gerne eine gute Waffe war - für jenen, der ihn kannte, und gegen sie einsetzen würde. Auch Moritem war selbstverständlich nicht der richtige Name des Meisters, doch es hatte nie zur Debatte gestanden, dass der eine dem anderen den Seinen nannte - wozu auch?
Das Abendessen, wie immer hergerichtet von ein paar Untoten, aber gut erhaltenen Sklaven, stand bereits auf dem Tisch, als die beiden noch die steinernen Treppen hinaufstiegen, und der köstliche Duft gebratenen Geflügels empfing sie in der großen Halle, die eine Art Zentrum darstellte. Die Wölfe ihrerseits trollten sich gehorsam auf ihre Decken, sie wussten nur zu gut was ihnen bevorstand, wenn sie es wagten Meister und Schüler beim Essen zu belästigen...
Die Zeit zum Schlafen war angebrochen - 5 Uhr am Morgen - und beide waren bereits auf ihren Zimmern, doch das Mädchen hatte keine Ruhe. In der Mitte des Baphomets stehend, sammelte sie geduldig all ihre geistigen Kräfte, bis sie einen trancenahen Zustand erreichte - das aufziehende Gewitter vor dem, weit offenen, Fenster blieb ihrer Wahrnehmung verborgen. Und wieder murmelte sie.
"...Rel Xen Um..."
Es gab kein Objekt um die Reaktion zu testen, doch es bedurfte auch keinem - eine eisige Kälte umschloss mit eisernen Pranken ihre Brust, und schien dann hinwegzuschmelzen. Sie wusste genau - der Pakt war besiegelt.
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Verfasst am: 22.01.2007, 01:36
...und es war alles so weit fort...
Eine Spinne krabbelte ihren Unterarm herab, über den Handrücken, und lies sich von ihrem Mittelfinger aus in die Fluten fallen - ein längst verstorbenes Fischfutter...
Das Mädchen - mittlerweile mit 20 Jahren eher eine junge Frau, denn ein Mädchen - schloss die Augen. Da war er wieder, Moritem, der sie mitten am Tag geweckt hatte, begleitet von seinen Wölfen, die nervös um ihn herum tänzelten.
Zu hastig waren seine Worte gewesen, um sie jetzt noch zu wissen, und zu schnell saß sie in der Kutsche, um zu verstehen, was geschah. Die Wölfe jagten dem Fuhrwerk nach, und erst als sie schon Stunden gefahren waren, und der Abendhimmel ihnen von einem Hügel aus freie Sicht gewährte, erkannte sie in weiter Ferne die schwarze Residenz wieder - umgeben von zehrenden Flammen, die das Mauerwerk längst in die Knie gezwungen hatten.
Ihr Meister hatte in all der Zeit kein Wort gesprochen, und als er nun die Stimme erhob, klang sie so kalt, dass Nejilia selbst erschauerte.
"...Inquisitoren..."
Das blieb sein einziges Wort, und die Flammen spiegelten sich noch lange in den Tränen, die das Mädchen um den Verlust ihres Zuhause weinte.
Doch das alles lag schon Wochen hinter ihr, und dennoch dachte sie immer wieder daran, erlebte diese Nacht in jedem Traum erneut. Der Meister hatte sie zum Hafen bringen lassen, und zwei Schiffe standen dort bereit - das eine für ihn, und das andere für sie.
Untote, doch lebendig wirkende Besatzungen steuerten nun auf ferne Häfen zu, und sie spürte in dem Windhauch, der um ihre Nase zog, noch die Zunge Remus', der sich von seiner Herrin verabschiedete.
Moritem, ihr Meister und zweiter Vater, hatte sie mit einer Umarmung verabschiedet, und ihr noch so einige Worte mit auf den Weg gegeben, die sie nur für sich, tief in ihrem selbst verschloss, um sie eines Tages dort zu finden, wenn sie sie benötigte. Der Ozean erstreckte sich noch immer so unendlich weit vor ihr, als sie die Augen wieder öffnete. Doch der Tote auf dem Aussichtsposten am Hauptmast rief ihr gerade zu es sei bald Zeit sich fertig zu machen.
Unter Deck angekommen nahm sie sich sogleich ein paar Gläser und Phiolen an, deren Inhalt sie in unterschiedlicher Menge in eine Schüssel mit Asche gab. Dies würde die Farbe ihrer Haare werden. Aschgrau, wie die Überreste so vieler Totenbeschwörer vor ihr, und so wie die Residenz, in der sie so viele Jahre gelebt hatte. Erst als das Mittel wieder ausgewaschen war, und ihre Haare vom Wind getrocknet, in gekämmter Ordnung lagen, trat sie vor einen Spiegel. Ihre Augen waren so braun wie zuvor - doch ihre Haare machten sie zum lebendigen Denkmal aller Opfer des heiligen Feuers.
Und das Land war nun schon in Sichtweite...